Abgehängt? Ein Zwischenstand

Seit einigen Tagen liege ich krank zu Hause. Das gibt mir Zeit um über einige Dinge nachzudenken - Segen und Fluch zugleich. 

Passend zu Sturm "Sabine" bekam ich Fieber. Ganz allein in meiner Wohnung, der Wind blies um das Haus und meine Körpertemperatur stieg weiter an. Und plötzlich kam die Panik. Die, von der ich immer dachte, ich hätte sie nicht. Seit Wochen sind da immer wieder diese Schmerzen in den Rippen und jetzt auch noch eine steigende Temperatur mit Gliederschmerzen, keine sonstigen Symptome, die auf eine Erkältung hinweisen könnten. Es dauert einen Moment, bis ich das Gefühl in mir zuzuordnen weiß und verstehe, warum ich zunehmende Aggressionen in den letzten Tagen und Wochen verspüre: Ich habe Angst. Es fühlt es sich an wie ein Déjà-vu. Hatte ich nicht 2017 die gleichen Symptome und es stellte sich heraus, dass es Krebs war? 

Tief einatmen, tief ausatmen. Jetzt erst mal Ruhe bewahren. Der Sturm heult lauter und einen kurzen Moment lang frage ich mich, ob ich doch vielleicht eher durch einen in das Fenster krachenden Ast sterben werde. Jap, das ist mein Hirn: es versucht selbst in dunklen Momenten schwarzen Humor anzuwenden - siehe da, es klappt und kurz darauf schlafe ich ein. 

Irgendwann wache ich auf und es ist der nächste Morgen. Ich akzeptiere, dass ich erst neulich in der Klinik war und alle Blutwerte zur vollster Zufriedenheit ausfielen. Ich verbringe die nächsten Tage zwischen Bett und Sofa, lade langsam meine Akkus auf und merke, dass ein Infekt an mir nagt. Zwischen einigen Stunden Schlaf beginnt mein Kopf damit eine Art Zwischenbilanz zu ziehen. Vielleicht habe ich diese Panik verspürt, um auf meinen eigentlichen Weg zurück zu kommen? Stimmt, ich habe umgeben von Arbeiten, Schlafen und ab und an Treffen mit Freunden, den Blick fürs Wesentliche verloren, bin doch schnell wieder im Hamsterrad angekommen. Ich habe eingesehen, dass ich krebsfrei bin (laut meiner Definition, nicht die der Ärzte!) und dennoch lautet der erste Satz meiner inneren Biografie "Ich bin Gesa, 27 Jahre alt und hatte Krebs". Kann und sollte man etwas so fundamentales abschließen? Hinter sich lassen? Gar verleugnen? Es ist ein Teil von mir. Manchmal eine Ausrede dafür meinen Träumen nicht hinterher zu jagen und teilweise genau der Grund, warum ich Dinge angehe. Das fühlt sich für mich an bestimmten Tagen so an, als würde ich einem Ballon hinterher rennen. Und es gibt Momente, da bleib ich einfach stehen, schaue wie er wegfliegt und ich einfach nichts dagegen machen kann oder möchte. 

Das trifft auch unglaublich gut auf mein Sozialleben zu: Erst vor ein paar Wochen habe ich sagenhafte 6 Stunden wie verrückt durchgetanzt (yes, ganz ohne Drogen oder ähnliche Substanzen ;-) ) . Man war ich stolz auf mich - das erste Mal seit Jahren, dass ich wieder an alte Zeiten anknüpfen konnte. 

Und dennoch verbringe ich häufig ganze Wochenenden zu Hause oder bei meinen Eltern. Habe das Gefühl, nicht zur restlichen Gesellschaft zu passen. Gibt es überhaupt noch jemanden mit dem ich über die Dinge sprechen kann die in meinem Kopf vorgehen? Es verletzt mich wenn die Menschen in meinem Umfeld Pläne ohne mich schmieden oder ich immer wieder merke, dass ich übergangen werde, weil man nicht weiß ob ich da sein werde oder nicht, oder schon fit genug bin um dies oder jenes machen zu können. 

Die Leute werden müde immer wieder aufs neue fragen zu müssen, ob man mit mir rechnen kann. Nein, man kann nicht immer mit mir rechnen. Und es wird als Schwäche ausgelegt, wenn ich einen Samstagabend auf der Couch verbringe, weil meine Akkus von der Woche leer sind, statt in einer Bar einen Gin Tonic zu schlürfen. 

Irgendwann fragen sie nicht mehr, ob du mitkommen möchtest, denn sie können nur in zwei Kategorien einteilen: Krank oder gesund. Aber was bin ich? Ich kann nicht mit dem heutigen Wissen meine Leber mit Alkohol jedes Wochenende kaputt schwemmen oder Samstags 10 km joggen gehen mit Freundinnen, wenn mein Körper das einfach nicht hergibt.

Krampfhaft versuche ich durchzuhalten, mir keinerlei "Schwäche" anmerken zu lassen und so zu tun, als wäre ich wie alle anderen auch. Dennoch merke ich, wenn es zu viel wird: Wenn mich ein Infekt erwischt, dann bleibe ich zu Hause um meinem Körper die bestmögliche Heilung und Ruhe zu geben, statt mich (wie früher) mit Fieber ins Büro zu schleppen. Der schwierige Part dabei ist es, nicht ins soziale Abseits zu geraten. Sich selbst zu akzeptieren und gleichzeitig vermehrt auf die Anderen zuzugehen um ein Zeichen zu setzen und damit zu sagen: Ich bin hier, ich habe euch nicht vergessen, bin zwar ein selten gesehener Gast aber freue mich dafür umso mehr auf jedes Wiedersehen. Mein Zwischenstand lautet daher, dass ich zwischen den Welten wandle, bin mal fit und gebe 100 % und an anderen Tagen gebe ich nur 50 % um meinen Akku zu laden. Und hey, das ist okay. Für mich bedeutet es nur, dass ich mehr auf die Anderen zugehen sollte, statt von ihnen zu erwarten, dass sie es tun. 

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Kommentare: 6
  • #1

    Shi (Samstag, 15 Februar 2020 10:10)

    Du hast echt ein Talent zu schreiben, schön wieder einen Blogartikel lesen zu können :) (für mehr Feedback, damit du auch gerne weiter schreibst �❤️)

  • #2

    Shi (Samstag, 15 Februar 2020 10:11)

    Du hast echt ein Talent zum Schreiben, schön wieder einen Blogartikel von dir lesen zu können :) (für mehr Feedback, damit du auch gerne weiter schreibst �❤️)

  • #3

    Andreas Heffter (Mittwoch, 18 März 2020 17:04)

    Mein Sohn hat Leukämie und ist jetzt bei Tag 105 nach der Stammzellentransplantation angekommen. Er hat momentan Magen Darm Probleme bekommen. Aus diesem Grunde bin ich auf Dein Blog gestoßen und habe neuen Mut geschöpft. Vielen lieben Dank für Deinen tollen Blog. Lieben Gruß Andreas

  • #4

    Andreas Heffter (Mittwoch, 18 März 2020 17:05)

    Mein Sohn hat Leukämie und ist jetzt bei Tag 105 nach der Stammzellentransplantation angekommen. Er hat momentan Magen Darm Probleme bekommen. Aus diesem Grunde bin ich auf Dein Blog gestoßen und habe neuen Mut geschöpft. Vielen lieben Dank für Deinen tollen Blog. Lieben Gruß Andreas

  • #5

    Jenny Alert (Freitag, 14 August 2020 23:14)

    Wunderschön geschrieben habe Gänsehaut am ganzen Körper wünsche dir alles gute und kämpfe weiter ����

  • #6

    Walter (Montag, 05 Oktober 2020 13:05)

    Die Wahrheit als Blog. Geht das? Danke für Deine Hilfe. Ich lebe noch. Wir haben Tag 230. Danke für Eure Lebenszeichen. Das sind gute Neuigkeiten das alles gut verläuft. LG